Als das ROTHAUS noch keine REPUBLIK war
©Tages-Anzeiger / 3. August 2004
HOTEL-TERMIN IM ROTHAUS
Zimmer mit Aussicht
Von Peter Johannes Meier
Ich sei ein Positivist, meint die Frau an meiner Seite. Ich erzähle ihr was von Raucherzimmer. Ja, starke Raucher hätten hier wohl übernachtet und nicht gelüftet. Es nützt nichts. Die Fenster stehen seit Stunden offen, und sie riecht immer noch etwas Saures.
Sie war ja von Anfang an dagegen: Reportage über ein Hotel an der Langstrasse. Doch die mit den Sternen waren schon vergeben. Im Storchen liegt mein Chef.
Immerhin: Wir haben Balkon. Wenn da nicht dieser Schreibtisch wäre, der uns den Weg an die Luft versperrt. Ich geb ihm einen Ruck. Wir stehen mitten unter Nutten, Junkies und Freiern, bloss einen Stock höher. Hotel Rothaus, Zimmer mit Aussicht auf die Bushaltestelle Militär-/Langstrasse.
«Starkstrom, Lebensgefahr» steht auf dem Metallkasten, den jemand auf den Balkonboden montiert hat. Dicke Kabel kommen aus dem Kasten, weiss nicht wofür.
«Super Balkon habt ihr da», lallt es von der Langstrasse herauf. «Wer von euch bezahlt denn die Nacht?», grinst der Typ und torkelt über die Busspur des 32ers. «Die Firma bezahlt», stelle ich klar. Nein, das glaube er nicht, keine Firma bezahle für so etwas. Wir sollten doch einfach dazu stehen. Er jedenfalls habe kein Problem damit.
Wir ziehen uns zurück ins Zimmer. Das Doppelbett aus Einermatratzen ist frisch bezogen. Das soll hier nicht immer so gewesen sein. «Ich gebe ihnen das Viererzimmer etwas günstiger, sonst ist alles ausgebucht», hatte sich die Frau an der Réception bemüht. «Wissen Sie, im Moment haben wir viele ausländische Sportler hier», sagte sie nicht ohne Stolz. Welche Disziplin, wollte ich gerade fragen, da klärte sie schon mit «Triathlon». Ein Stundenhotel sei es jedenfalls nicht, eher werde die besondere Lage von ausländischen Geschäftsleuten geschätzt.
Im Gang begegne ich einem Triathleten mit Bierbauch und Zigarette im Mund. Irgendwie fühle ich mich gut.
Das Viererzimmer ist in Wirklichkeit ein Zweier mit ausziehbaren Sesseln. Wir sitzen vor dem kleinen Fernseher. Das wacklige Antennenkabel wird nach Reklamation sofort ausgewechselt. Statt keinem haben wir jetzt vier uninteressante Sender.
Die Fernbedienung ist fettig oder klebrig, ich kann mich nicht entscheiden. Nach jedem Senderwechsel Hände waschen. Irgendwann springt der Handtuchhalter samt Dübeln aus der Wand.
Mir geht dieses Wattestäbchen auf dem Fenstersims einfach nicht aus dem Kopf. Woher kommt es? Und warum liegt es immer noch dort? Die Frau an der Réception sagte, ein Mann habe ein Jahr lang in diesem Zimmer gewohnt. Was ist wohl aus ihm geworden?
Ein Versuch zu schlafen, misslingt. «Du verdammts Arschloch, verdammts», tönt es von der Bushaltestelle. Eine Reihe reifer Männer hat es sich an der rot-weissen Barriere vor der Sihlhallenstrasse bequem gemacht, Logenplätze im Freilichttheater um schnellen Sex und gelinkte Drögeler.
Um 1 Uhr dann Notfall an der Brauerstrasse, mit Feuerwehr und Krankenwagen. 200 Freier und ich säumen die Szene, kommentieren das Manöver mit dem Leiterkran. Alle sind wir auch Feuerwehrmänner. Ein Regungsloser wird durch das Fenster im dritten Stock geholt. «Remo, säg doch öpis. Gäll du bisch es nöd», ruft eine verzweifelte Frau der Tragbahre entgegen. «Dein Remo ist jetzt tot», lacht ein Freier zum anderen.
Wieder im Hotel, misslingt der zweite Versuch. Definitiv kein Ort zum Schlafen. Eine Packung Zigaretten habe ich geraucht, ein Dutzend Mal die Hände gewaschen. «Das Zimmer stinkt», wird sich mein Nachfolger ärgern.
Hotel Rothaus, Langstrasse 121, 90 bis 140 Franken pro Zimmer, kein Frühstück.